Unser Verständnis von Innovation setzt sich aus einer Vielzahl von Komponenten zusammen – die eine ist technischer Natur, die andere sozial, eine dritte biologisch. Was haben Sie vor Augen, wenn Sie den Begriff Innovation hören?
Unter Innovation verstehe ich die Verbesserung von etwas, was im Moment nicht so gut läuft. Das heißt, am Anfang steht die Idee, etwas besser machen zu wollen.
Was machen Sie besser als ihre Konkurrenz?
Als brand eins geboren wurde, hatten sich die Printmedien stark verändert. Sie setzten zunehmend auf Infografiken, druckten immer kürzere Texte und schnippelten Bilder bis zur Unkenntlichkeit zusammen. Das war ein vorgezogenes Internet. Wir gingen dazu über, die Vorzüge des Printmediums wieder in den Mittelpunkt zu rücken: Geschichten, die man gerne liest und die auch mal ein bisschen länger sein dürfen, in einem zwar ruhigen, aber dennoch immer wieder anregenden Layout. Wenn man so will, lag unsere Innovation in etwas Konservativem, der Rückkehr zu dem, was früher als guter Journalismus galt: der Schreiber sollte sich mehr quälen als der Leser und dieser nachher etwas schlauer sein als vorher.
Inhaltlich beschritten Sie dagegen neue Wege.
Was uns im Bezug auf Wirtschaft am meisten störte, war der verengte Blick auf die Frage: „Haben die nun mehr Gewinn gemacht als letztes Jahr?“ Wir wollten verstehen wie Wirtschaft funktioniert und wie sie sich verändern muss, wenn wir nicht mehr in einer Industriegesellschaft leben.
Die Schattenseiten lernten Sie bald selbst kennen: Sie gründeten Ihren Verlag aus einer Krise heraus und landeten in einer Zeit sinkender Werbeausgaben.
Im Rückblick bemühen wir uns, die positiven Seiten zu sehen. Weil wir von Anfang an ums Überleben kämpfen mussten, haben wir schlanke Strukturen und sind es gewohnt, mit wenig Geld hohe Qualität zu liefern. Das ist kein schlechtes Fundament in einer Zeit, in der wir nicht wissen, wo die Werbeausgaben künftig hinfließen werden.
Dieser Optimismus lässt sich auch in Ihrem Magazin erkennen. brand eins zeichnet ein neues Bild der Wirtschaft – weg von Zahlen, Daten und Fakten, hin zu einer gesellschaftlich integrierten Ökonomie, die auch Wirtschaftsfremde verstehen.
Ich selbst hatte Politikwissenschaft und Soziologie studiert, bevor ich in den Wirtschaftsjournalismus hineinstolperte. Als ich nach zehn Jahren beim Manager Magazin etwas mehr von Wirtschaft verstanden hatte, konnte ich noch weniger nachvollziehen, warum diese wie eine Geheimwissenschaft behandelt wurde. Was sollte schon gut daran sein, die Wirtschaftsteile der Tageszeitungen einem kleinen Kreis von Experten vorzubehalten? Wirtschaft geht uns alle etwas an – das gilt besonders für eine Zeit, in der vom Modedesigner bis hin zum Historiker zunehmend mehr junge Menschen unternehmerisch tätig werden.
Verabschieden wir uns gerade vom Vorurteil der nutzlosen Geisteswissenschaftler?
Diesen Eindruck habe ich in vielen Gesprächen gewonnen. Gerade die Soziologen scheinen in unsere Zeit hineinzuwachsen und haben bessere Ideen, als man ihnen zugetraut hätte. Das ist wichtig, wenn wir auch in Zukunft noch in Wohlstand leben wollen – wir müssen unsere Gesellschaft fit machen für neue Herausforderungen. Da sind Soziologen wichtige Gesprächspartner und vielleicht bald die wesentlichen Innovatoren.
Zu ihren Lesern gehören erstaunlich viele Intellektuelle und Künstler aus eher wirtschaftskritischen Lebensbereichen. Wie bekommen Sie diese Interessen unter einen Hut?
Unsere Leser haben erkannt, dass das Ausgrenzen eines Bereiches diesen Bereich nicht besser macht. Der Kapitalismus ist das System, mit dem man am meisten anfangen kann und anfangen muss – es kann nicht sein, dass man sich hinsetzt und sagt: „Es wird schon von alleine gehen.“ Von diesem Standpunkt aus gesehen sind wir in viele Richtungen anschlussfähig. Die Leute spüren, dass wir nicht moralinsauer von Eigenverantwortung reden, sondern von ökonomischen Bedingungen und einem Wirtschaftssystem, das den Leuten dient und sich nicht irgendwann selbst auffrisst.
Ist es nicht so, dass wir unser Schicksal im Wesentlichen selbst beeinflussen können?
Wir haben Jahre hinter uns gebracht, in denen wir viel von unserer Verantwortung delegiert haben. Der Staat war für unser Alter zuständig, für unsere Arbeitslosigkeit, für Schulen, Ausbildung und Gesundheit – das alles haben wir zur Seite geschoben, um die Köpfe frei zu haben und unsere Arbeitskraft der Industrie zur Verfügung stellen zu können. Nun geht das so nicht mehr und wir stellen fest, dass wir selbst Verantwortung für diese Bereiche übernehmen müssen. Manche Menschen begreifen das als eine Befreiung, andere als eine bedrohliche Situation.
Was eine Steilvorlage für gewisse Medien ist, das Feindbild der gierigen Manager aufleben zu lassen.
Was diese Medien gerne vergessen: es gibt sehr viel mehr Manager, die einen sauguten Job machen und sich ihr Geld hart verdienen, als nur die bekannten Topverdiener. Statt sich mit der Frage „Was verdient einer?“ zu beschäftigen, sollten sie sich mit der Frage „Was kann einer?“ auseinandersetzen.
Können Sie mit brand eins dazu beitragen, diese Gräben zu überwinden?
Wir marschieren nicht in Unternehmen hinein, um den Managern zu sagen, was sie alles falsch machen und wie man es besser machen könnte – wir möchten sehen, warum bestimmte Dinge passieren und wie man aus Fehlern lernen kann. Wir berichten mehr über gescheiterte Unternehmen als andere Magazine, weil wir Insolvenzen als Beginn von etwas Neuem begreifen. Meiner Meinung nach ist das der einzige Weg, um aus dieser unseligen Grabenpolitik herauszukommen: Wirtschaft mit all ihren Facetten zu akzeptieren und nicht von vornherein zu verurteilen.
Eng damit verbunden ist die Wertediskussion, die uns seit einiger Zeit fest im Griff hat.
Sehen Sie, es gibt eine große Bandbreite von Unternehmen – bei den einen spielen Werte eine große Rolle, andere wollen nur möglichst viel zur Seite schaffen. Was mich an der gesamten Diskussion nervt, ist der Versuch, die Werte- und Ethikdebatte auf Nebenkriegsschauplätze wie „Wasser für Afrika“ zu verlagern. Das ist in diesem Zusammenhang nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver. Die wesentliche Aufgabe von Unternehmen ist es, gute Produkte zu guten Bedingungen herzustellen – wenn alleine darauf Wert gelegt würde, könnte man sich einen Großteil der CSR-Abteilungen und Ethikkongresse sparen. Mein Job ist es ein Magazin herzustellen, das meine Leser interessiert, und die Bedingungen dafür zu schaffen, dass dieses Magazin entstehen kann. Wenn ich nebenher noch etwas spenden möchte, ist das mein Privatvergnügen.
Nehmen wir ein Beispiel: zwei vergleichbare Unternehmen engagieren sich in ähnlichem Maße für soziale Projekte – das eine aus stiller Überzeugung, das andere emotionslos mit großem Medienrummel. Welches eignet sich besser für eine Reportage in Ihrem Magazin?
Interessant ist es zu wissen, wie sich dieses zweite Unternehmen sonst verhält: stellt es schlechte Produkte zu schlechten Bedingungen her? Dann wäre es die interessantere Geschichte, weil man zeigen könnte, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hätte. Sympathischer ist mir natürlich das Unternehmen, das seine Mitte hat – zumal es sich langfristig lohnt, die richtigen Produkte anzubieten statt möglichst viel von irgendeinem Schrott. Gerade deshalb würde ich mir wünschen, diese ganze Wertedebatte könnte aus der sozialen Ecke wieder herausgeholt und ökonomisch geführt werden.
Zum Abschluss eine Frage in eigener Sache: Als Sie uns vor einigen Monaten die Zusage zur Medienpartnerschaft gaben, hatten wir bis auf eine vage Idee nur wenig zu bieten. Worin lag Ihr Interesse, uns so großzügig zu unterstützen?
Ich finde es gut, wenn Studenten etwas Eigenes auf die Beine stellen wollen. Innovationen entstehen aus Experimenten und die unterstützen wir, wo immer wir können. Andererseits ist das ein Teil unseres guten Produkts: wir können nicht mehr Initiative fordern, wenn wir diese dann nicht unterstützen oder gar boykottieren.
Erschienen am 20.11.2008 im Magazin zum 5. Würzburger Wirtschaftssymposium